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Perfekt Unperfekt – Warum Selbstoptimierung unglücklich macht

Autor
Alina Halbe

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Perfekt Unperfekt – Warum Selbstoptimierung unglücklich macht

Schrittzähler, Meditations-App und nach Feierabend noch zum Spanischkurs ... Als würde die Gesellschaft uns nicht schon genug abverlangen, setzen wir uns auch noch selbst unter Druck: Der Optimierungswahn der Selbstdarstellung ist längst zum Trend geworden. Doch das ständige Streben nach einem besseren »Ich« macht auf Dauer unglücklich.

Es ist an der Zeit, mal locker zu lassen und uns und das Leben so zu akzeptieren, wie wir eben sind: unperfekt perfekt.

Selbstoptimierung oder doch nur Selbstdarstellung?

Ich falle jedes Mal wieder drauf rein. Ich weiß natürlich längst, dass das, was mir auf Facebook und Instagram entgegenstrahlt, meistens inszeniert ist – und bin trotzdem immer wieder geblendet.

Ich sehe da Menschen, die morgens mit Trampolinspringen in den Tag starten. Andere stehen extra früh auf, um schon vor der Arbeit zu meditieren und eine Seite im Dankbarkeits-Tagebuch auszufüllen. In der Mittagspause gibt es bunte Buddha-Bowls, und wer es wirklich ernst meint, postet nach Feierabend noch den Bücherstapel auf dem Nachttisch. Doch statt seichter Einschlafliteratur türmen sich da Ratgeber, die wissen, wie man selbstbewusster, einflussreicher, entspannter, dünner oder reicher wird.

Beim Scrollen sage ich mir dann immer wieder, dass das alles nicht echt ist. Ein komisches Gefühl bleibt trotzdem. Denn die Ratgeber sind echt. Sie füllen Monat für Monat Bestsellerlisten. Echt sind auch die Regale mit Superfoods, echt sind Yogamatten, Fitnessarmbänder, Diät-Apps, Cremes und Beauty-Pillen.

Und ganz besonders echt sind Coaches und deren Workshops, die da ansetzen, wo man mit dem anderen Zeug nicht weitergekommen ist.

Offensichtlich beschäftigt sich ein Großteil der Menschen ganz schön viel mit sich selbst. Es ist ja auch verlockend, wo es doch so viele Bühnen zur Selbstdarstellung gibt. Aber auch jenseits der sozialen Netzwerke befeuern Werbung und das Konkurrenzdenken unserer Leistungsgesellschaft das Bestreben, besser – ja am besten sogar perfekt – zu werden. Mantraartig ruft es uns von allen Seiten entgegen:

 

»Du kannst alles erreichen, wenn du es nur willst.«

Aber will ich überhaupt?

Wenn ich mein eigenes Leben einem selbstkritischen Optimierungs-Check unterziehe, stelle ich schnell fest, dass da in einigen Bereichen noch Luft nach oben ist. Und ehrlich gesagt würde ich auch gerne noch eine Fremdsprache sprechen, sportlicher sein, mir endlich angewöhnen, das Geschirr immer direkt in die Spülmaschine zu räumen, weniger zu grübeln und nicht so oft ein schlechtes Gewissen zu haben. Doch mich den ganzen Tag selbst zu beobachten, mein Verhalten zu beurteilen oder Buch zu führen über gelaufene Kilometer und gegessene Nutellabrote, das kommt mir reichlich anstrengend vor. Und wie ein sicherer Weg ins Unglück.

Ein sicherer Weg ins Unglück

Da führt das Ganze dann auch tatsächlich früher oder später hin. Logisch, wer sich ständig nur auf die eigenen Macken konzentriert, permanent auf Fehlersuche ist und das Gefühl hat, irgendwie mithalten zu müssen, der kann ja nur traurig werden. Deshalb neigen Perfektionist*innen oft zu Selbstzweifeln, Depressionen und Burnout. Auch das soziale Umfeld leidet, entweder weil Selbstoptimierer*innen mit der Opti- mierung auch vor Freund*innen, Bekannten und Kolleg*innen nicht haltmachen, oder weil sie sich vor jedem Treffen eigennützig fragen, was für sie selbst dabei rausspringt.

Das Paradoxe: Selbstoptimierung ist an sich ja ein lobenswertes Konzept. Es ist toll, wenn jemand vorhat, sich persönlich weiterzuentwickeln; alte Laster und Gewohnheiten abzulegen; abzunehmen, um sich wohler zu fühlen, oder mit neuem Wissen den Horizont zu erweitern. Solche Vorsätze motivieren uns und treiben uns an. Und – keine Frage – es hilft auch ungemein, sich selbst und das eigene Tun hin und wieder mal (kritisch!) zu reflektieren.

Leider erkennen wir aber oft nicht, wann Schluss sein sollte. Denn beim ständigen Streben nach Verbesserung verlieren wir unsere eigenen Ziele schnell aus den Augen und der permanente Vergleich mit anderen schraubt die Erwartungen an uns selbst viel zu hoch. Höchste Zeit, mal den Fuß vom Gas zu nehmen, rechts ranzufahren und zu überlegen, ob man überhaupt noch auf dem eigenen Weg ist oder nur blindlings der Karawane folgt. Denn die hat gar kein Ziel und kommt auch nie irgendwo an, eine*r kann nämlich immer noch weiter, ist immer noch besser.

Hat man das erst mal erkannt, lebt es sich gleich entspannter. Wer weniger perfektionistisch ist, ist ja auch nicht automatisch faul. Mal locker zu lassen bedeutet nicht, dass man in Jogginghose auf dem Sofa fläzend dabei zusieht, wie das eigene Leben den Bach runtergeht. Es heißt auch nicht, dass einem alles völlig egal sein sollte oder man seine Aufgaben nur noch halbherzig macht. Nein, es heißt, nach den eigenen Regeln zu leben, selbst Werte und Ziele zu definieren und nicht ständig nach links und rechts zu schauen. Denn – und jetzt kommt’s – es geht doch gar nicht darum, die oder der Schnellste, Schönste, Reichste und Beste – worin auch immer – zu sein, sondern einfach nur irgendwie zufrieden und streckenweise sogar glücklich durchs Leben zu trudeln.

Schaut euch auch gerne unsere «7 Tipps für ein perfektes unperfektes Leben» an, die dabei helfen, den Fokus wieder auf sich selbst zu richten und das Leben selbst nicht so ernst zu nehmen.

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